Ein Werdegang – Bilder als Stationen

Giovanni Veteres Werk spiegelt eine intensive Auseinandersetzung mit sich und seiner Umwelt wider. Eine inhaltliche Entwicklungslinie bildet dabei, die Schwierigkeit und Notwendigkeit zwischen dem autonomen Individuum und den gesellschaftlichen Ansprüchen zu vermitteln. An dieser Thematik wird vor allem nachvollziehbar, wie Vetere in einer Wechselbeziehung zwischen sich und seiner Arbeit dieses Grundproblem anhand seiner Kunst für sich selbst klärte.

Schon sein allererstes Bild „Il primo quadro“ von 1972 nimmt sein späteres Werk ahnungsvoll vorweg. Mitten in pastos aufgetragenen Erdtönen, die eine Landschaft andeuten, befindet sich ein kindlich gemaltes Gesicht. Es scheint ebenso mit der Umgebung verwoben zu sein, wie es durch die rot akzentuierten Gesichtszüge aus dem Bild hervortritt. Bereits hier offenbart sich, wie sehr Vetere es im wahrsten Sinne des Wortes „einfach“ um das menschliche Antlitz geht. Aber auch die Beziehung zur Natur, die Verbundenheit und das in ihr Aufgehen, werden durch das fröhliche Wesen inmitten einer eher melancholisch oder sogar rauh anmutenden Landschaft bezeugt. An diesem allerersten Bild wird deutlich, welch unmittelbaren Zugang Vetere zu seinem eigenen Inneren findet. In dem unverfälschten Gestus ist der Bildgrund als Daseinsgrund schon genauso vorhanden, wie der Blick als Kontaktaufnahme mit dem Betrachter. Hier sind mithin all die Themen dargestellt, die Vetere in den folgenden Jahren ausformuliert, obgleich er sich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht als Künstler versteht.

Mit den „Uhrenbildern“ von 1972/73 kommt Vetere dann erstmals zu Bewusstsein, dass er seine Lebenszeit der Kunst widmen will. Die werkimmanente Ebene dieser Stillleben beinhaltet, dass das Malen einer Uhr das „Festhalten der Zeit“ meint, während diese faktisch weiterläuft. Das Bild ist also während seines Entstehens eine vergangene Momentaufnahme. Mit diesen Arbeiten erkennt Vetere seinen eigenen Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Zukunft insofern, dass die Kunst durch ihre besondere Gegenwart zum Mittel der Erinnerung und Neuschöpfung zugleich wird. In seiner Aufarbeitung aus der realistisch expressiven Phase stehen Porträts der Zurückgelassenen, Abschiedsszenen sowie Selbstporträts als notwendige Erinnerung im Vordergrund. Stellvertretend für diese Zeit ist das „Porträt Marias“ von 1973. Ein Frauenkopf füllt blass und in abgehärmter Überlängerung fast die gesamte, kleine Bildfläche aus. Die komplementäre Farbgebung der Wangen spiegelt einen inneren Zwiespalt wider und verweist zugleich darauf, wie sich diese Empfindungen trotz allem ergänzen. Beherrscht wird das Bild von den Augen, von denen eines nach oben und eines nach unten gerichtet ist. Dadurch ergibt sich ein ambivalentes Verhältnis von einem nach Innen schauen und einem in die Ferne blicken. Trotz dieser indirekten Blickrichtung stiften die Augen einen Dialog, indem sie den Betrachter in den inneren Konflikt mit einbeziehen. Die Beschreibung des Seelenzustands in seiner Zerrissenheit wird kompositorisch auch daran deutlich, dass der Kopf nach oben von dem Bildrand beschnitten wird, und ihn dennoch zu sprengen scheint.

In einer späteren Arbeit von 1979 wird die Eingrenzung, die bei der Maria durch den Bildrand verkörpert wird, in das Bild genommen und formal thematisiert. Schwarze Umrandungen unterteilen den Bildgrund mehrfach und werden zu Ein- und Abgrenzungen zugleich. Von der Konturierung nunmehr stilisierter Köpfe, zu der Umrandung der gesamten Gruppe bis zu dem schwarzen Rand, der das Bild einrahmt, wir hier eine innere Begrenzung sichtbar nach aussen verlagert. Die Umrandungen meinen zum einen Schutz und zum anderen zeigen sie, wie die dabei entstehende Abgrenzung auch gleichbedeutend mit Apathie und geistiger Unfreiheit sein kann. Die Dominanz des Kopfes oder gar die Trennung von Kopf und Körper, sowie die „Begrenzung“ wird bei dem frühen „Porträt Marias“ ebenso wie bei der späteren Reihung von Köpfen kritisch betont. Ob als Individuum oder als Gruppe, die Gesichter werden in einer Art Befangenheit und Entfremdung von sich selbst gezeigt. Trotzdem leuchten sie immer aus dem Bildgrund hervor und die Augen bleiben zur Kontaktaufnahme bereit. Auch wenn diese inhaltlichen Bezüge den beiden Arbeiten, die einige Jahre auseinander liegen, nicht gleich anzusehen sind, sind sie doch in ihrem Ausdruck und ihrer Bedeutung von derselben Qualität.

Gerade die letzte Arbeit leitet stilistisch zu dem Hauptwerk Giovanni Veteres über und verdeutlicht weniger gänzlich veränderte Inhalte, als eine geänderte Sichtweise des Künstlers. Vetere kann sich von seiner subjektiven Eingebundenheit nun soweit lösen, dass er die bestehende Problematik in einen allgemeineren Bezug, und somit in eine abstrahiertere Bildsprache übersetzen kann. Je mehr sich für ihn die Inhalte seiner Aufarbeitung klären, desto mehr kann er sie auch formal auf den Punkt bringen. Dabei von einer Darstellung, die unmissverständlich von Duktus und abbildender Erinnerung lebt, zu einer Formalisierung zu gelangen, die sich im Bezug zu den Inhalten wahrlich konkret verhält, zeigt eine enorme Leistung im künstlerischen Entwicklungsprozess.

Nach diesem Schritt folgt auch sehr schnell eine innere und damit inhaltliche Wandlung, indem der Gegensatz zwischen dem Unaussprechlichen und den „vielsagenden“ Augen zunehmend als positive Aufforderung an den Betrachter weitergegeben wird. In dem Masse wie Giovanni Vetere sich integriert und etabliert, treten die kritischen Aspekte zwar nicht völlig in den Hintergrund, aber die Darstellung konzentriert sich zunehmend auf die Ideale, welche es im eigenen Leben zu verwirklichen gilt. Ein frühes Fresco von 1981 macht die Wandlung der Aussage besonders deutlich. Eine Gruppe, die jetzt vielmehr als starke Gemeinschaft oder als Familie zu sehen ist, wird abermals von einem schwarzen Rahmen eingefasst. Die Figuren auf dem Bildgrund besitzen nun jedoch Körper, wirken befreit und in Beziehung zueinander gesetzt. Selbst auf dem Rahmen befinden sich kleine Symbole und Gestalten, womit die schwarze Umrandung ganz anders in den Kontext integriert wird. Das Bild bekommt gleichsam den Charakter einer Ikone. Die schwarze Umrandung hat sich hier zur bevölkerten und damit zur beseelten Einfassung der eigenen Bildsprache transformiert, die jetzt auch eindeutig zur Symbolsprache geworden ist. Während die ersten Arbeiten in der Fresco-Technik zumeist noch in erdigen Tönen gehalten sind, werden sie nach und nach geradezu strahlend und damit wahrhaftig reiner. Dabei wirken die Farben keineswegs kalt oder spannungsgeladen, wie es gerade die klaren Farben aus der expressiven Frühphase oftmals intendierten, sondern Klarheit wird gleichbedeutend mit Harmonie. Es ergibt sich zunehmend eine gleichberechtigte Beziehung aus formaler Einfachheit als eigenem Inhalt und der Farbigkeit als eigenem Inhalt. Dieses in sich stimmige Verhältnis weist darauf hin, dass Vetere sich einem universellen Zusammenhang von allgemeingültigen und individuellen Werten annähert. Das wird auch besonders an den Gesichtern der Figuren deutlich. Obwohl sie sich stilistisch alle ähneln, womit sie sich als Teile eines Ganzen und als zusammengehörig erweisen, sind sie doch alle einzigartig und bei näherem Hinsehen vollkommen unverwechselbar. Individuum und Gemeinschaft treffen sich in der Gemeinsamkeit einer übergreifenden Aussage. In letzter Zeit hat Vetere sich formal sogar noch weiter reduziert, so dass auch der tatsächliche Bildinhalt immer minimaler ausfällt. Je klarer die Strukturen und Farben werden, desto mehr kristallisiert sich nun in der Gemeinschaft das Individuum heraus. Exemplarisch für diesen Zusammenhang ist vielleicht ein Fresco von ??, das auf einem rotem Grund eine geradlinig ausgerichtete Reihung von kleinen, gelben Köpfen zeigt. Nur ein einziger Kopf ist in komplementärem Grün zum Hintergrund gehalten. Dieses einzelne Gesicht befindet sich damit farblich in direkter Beziehung zu dem Grund, auf dem sich alle befinden. Das Gesicht tritt nicht gegenüber den anderen hervor, sondern allein durch die besondere Beziehung zu dem, was alle vereint. Hier ist der Bildgrund als Daseinsgrund und die Beziehung von Individuum und Gemeinschaft mit wenigen Mitteln dargestellt, welche Form und Inhalt auf einer Ebene vereinen, die sich durch sich selbst erklärt.

Die Entwicklung von individueller Subjektivität zu dem Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft hat sich nun im Bezug zum eigenen Werk auf neue Art verinnerlicht. Das Individuum in der Figuration Veteres beinhaltet jetzt alle bisherigen Aspekte seiner Arbeit. Seine Darstellung bedarf keiner weiteren Beschreibung im Bildraum, denn die werkimmanente Ebene jeder Figur, jedes Symbols trägt jetzt ganz selbstverständlich die jahrelange Entwicklung des Künstlers in sich. Die jüngsten Arbeiten sind dementsprechend sogar in reinen Primärfarben gehalten und zeigen geradezu monumental einzelne Figuren. Diese schon monolithisch anmutenden Wesen verkörpern das Wesentliche der eigenen Arbeit in allen Aspekten, von der Herleitung bis zur Ankunft.

Die Aufarbeitung psychischer und ganz konkreter Widersprüche und der damit verbundene Prozess der Selbstfindung und Positionsbestimmung gehen nun in einer künstlerischen Betrachtungsweise auf, die nicht mehr Mittel, sondern Selbstzweck ist. Die Persönlichkeit Veteres und seine Kunst ruhen mehr denn je in sich. Inhalt und Form haben sich so angenähert, dass sie nun für sich selbst stehen und in der autonomen Einheit des Werkes absolut unteilbar und damit einzigartig geworden sind.

Christine Glenewinkel, MA